Der „Weg des Gedenkens“: Eine gemeinschaftliche Erinnerung an alle früh verstorbenen Kinder

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Pressemitteilung vom 19.12.2025

Auch wenn David nicht bei uns aufwachsen darf, gehört er immer zu uns“

Samstagnachmittag auf dem Hauptfriedhof an der Lindener Straße. Eine Gruppe von etwa 40 Menschen verlässt die Kapelle. Sie folgen den weichen dunklen Klängen eines Saxophons. Alle Altersgruppen sind vertreten: Kinder, junge Paare, Familien – auch ältere Menschen sind darunter. Viele tragen ein Licht in der Hand, einige eine weiße Rose. Das gemeinsame Ziel sind die Kindergräber und die Stele für die Kinder, die es mit weniger als 500 g nicht in diese Welt geschafft haben. Wie an jedem zweiten Samstag im Dezember haben Hospizverein, Krankenhausseelsorge und Klinikum zum „Weg des Gedenkens“ eingeladen. An jeder Station wird ein besinnlicher Text gelesen – haben die Familien Zeit zum Innehalten: sie legen Blumen ab, stellen ein Licht auf, nehmen einander in die Arme… Hier ist der Ort ihrer ganz persönlichen Trauer.

Vorausgegangen ist ein feierliches Gedenken in der Martinskapelle. Hier stehen die verstorbenen Kinder ganz im Mittelpunkt – die kürzlich verstorben sind und auch die, an die erneut erinnert wird. Die Friedhofsverwaltung hat auf dem Boden eine Spirale aus grünen Zweigen und kleinen roten Leuchten gestaltet. Brigitte Kropf vom Klinikum legt weiße Rosen dazu. Am Eingang werden die Besucher freundlich begrüßt. Für ihr verstorbenes Kind bekommen sie – auf Wunsch – einen großen Papierstern. Wer mag, kann den Namen seines Kindes auf den Stern schreiben. Auch Kinder beteiligen sich, schreiben den Namen des verstorbenen Geschwisterchens auf. Einzeln oder zu zweit gehen die Menschen nach vorn, stecken „ihren Stern“ zu einer Leuchte und entzünden ein Licht für das Kind ihres Gedenkens. Ein schönes Ritual, von dem viele Gebrauch machen. Am Ende „erstrahlen“ 17 Namenssterne im Raum der Kapelle – immer wieder ziehen sie die Blicke auf sich.

Im Verlauf der Feier wird an jedes einzelne Kind erinnert: „Wir denken mit Liebe an…“ Zum Schluss zündet Pfarrer Lennart Kruse die große Kerze in der Mitte der Girlande an: „Wir denken mit Liebe an all unsere verstorbenen Kinder – auch an die, deren Namen heute ungenannt geblieben sind und die wir doch im Herzen mit uns tragen.“

Wie tief Eltern mit ihren verstorbenen Kindern verbunden sind, zeigen eindrucksvoll die Gedanken einer „Sternenkind-Mama“ – wie sie sich selbst bezeichnet – und die sie hier vorträgt. Vor fast genau drei Jahren hat sie Abschied von ihrem Sohn nehmen müssen. „David blieb nur für einen winzigen Moment bei uns. Dann reiste er weiter zu seinem Stern“, erzählt sie. Eindrucksvoll beschreibt sie die Ambivalenz der Gefühle: „Das Ereignis brachte unglaublich viel Leid und Traurigkeit in unser Leben. Und gleichzeitig durften wir ganz viel Glück und Hoffnung spüren. Doch vor allem die Liebe war es, die uns bis heute mit unserem Sohn verbindet. David gehört für immer zu unserer Familie. Auch wenn er nicht bei uns aufwachsen darf, ist er immer bei uns, in unseren Gedanken und unseren Herzen. Er ist auch immer sichtbar in unserem Zuhause, durch Erinnerungsstücke. Schon heute erzähle ich unserer Tochter Malou von ihrem Bruder.“

Wie kann man nach dem Verlust des eigenen Kindes weitermachen, ohne daran zu zerbrechen? Auch wenn sie ihr Baby in manchen Momenten so sehr vermisst, dass es sie „fast zerreißt“ – diese Mutter hat für sich einen Weg gefunden. Sie ist sicher: „Es gibt nicht den einen Weg, der für jede und jeden gilt. Ich wünsche allen, dass sie ihren ganz eigenen Weg durch die Trauer finden. Und dass sie auf ihrem Weg immer Menschen an ihrer Seite haben, die nicht bewerten und beurteilen, sondern begleiten und unterstützen.“

In diesen Worten finden sich anwesende verwaiste Eltern wieder und erleben sich gestärkt. Bei leisen Gitarrenklängen von Markus Galonska können sie dem Gehörten eine Weile nachspüren.

Wie schon seit Jahren wird die Feier musikalisch getragen durch einfühlsame Klänge der A-cappella-Gruppe um Axel Becker. Draußen führt Sebastian Scheil mit seinen sanften Saxophon-Klängen den Weg durch die beginnende Dämmerung an.

An der großen Statue des segnenden Christus findet das gemeinschaftliche Gedenken an die verstorbenen Kinder seinen Abschluss. Gemeinsam wird ein Lied gesungen und gebetet. Die einen gehen heim – zurück in den Alltag. Die anderen kehren zur Kapelle zurück. Bei heißen Getränken erzählen manche, tauschen sich aus. Leid und Schmerz der verwaisten Eltern sind nicht aus der Welt. Von diesem Nachmittag nehmen sie aber die Gewissheit mit, dass es auf ihrem Weg Beistand und Begleiter gibt.

Bildunterschrift: Eine Spirale aus Tannengrün versteht sich als Symbol für den „Weg des Gedenkens“. Das Gemeinsame kommt darin zum Ausdruck und lässt gleichzeitig viel Raum für Persönliches. Den Familien gibt das gemeinschaftliche Gedenken an ihr Kind Kraft und Halt.  Foto: privat