Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Dass diese Volksweisheit auch auf die Heimatliebe zutrifft, davon konnten sich Wolfenbütteler am Sonntag in der Kommisse überzeugen. Denn als Abschluss und Höhepunkt eines dreitägigen Treffens gab es dort ein Mittagessen mit schlesischen Spezialitäten sowie die „Schlesische Kaffeetafel mit Moo- und Sträselkucha“.
Eingeladen hatte der Arbeitskreis Landeshut (AKL), der dieser Tage sein 75-jähriges Bestehen feiert. Auslöser für die Gründung waren einst die vielen Flüchtlinge aus Schlesien, die nach dem zweiten Weltkrieg auch in unsere Region kamen. Zahlreiche jährlich wiederkehrende Heimattreffen führten schließlich zu zarten grenzübergreifenden Kontakten und gipfelten in Partnerschaften zwischen Stadt und Landkreis Wolfenbüttel sowie Kamienna Gora (Polen), dem ehemaligen Landeshut.
Das Jubiläumstreffen spannte einen Bogen von der Kultur über die Erinnerung an Verstorbene bis zur Auslobung eines jährlichen Stipendiums. Am ersten Tag gab es eine Lesung im Ratssaal, die von einer kleinen Ausstellung begleitet wurde. Das Wolfenbütteler Heimatmuseum zeigte einige Artefakte, die Flüchtlinge in ihre neue Heimat gerettet und später gespendet hatten.
Der zweite Tag stand im Zeichen eines Schlesischen Abends, der im ,Alten Kaffeehaus‘ zelebriert wurde. Eine Tanzgruppe aus Braunschweig zeigte ihr Können in schlesischen Trachten, und die alten Landeshuter konnten sich austauschen mit Bewohnern aus Kamienna Gora: Eine polnische Delegation hatte die gut 400 Kilometer Anreise für zwei Tage Wolfenbüttel in Kauf genommen. An der Spitze der siebenköpfigen Gruppe Stadtdirektor Mariusz Pawlak (der Bürgermeister fehlte erkrankt) sowie die stellvertretende Landrätin, Malgorzata Krzyszkowska.
Gastgebern und Gästen war wichtig, auf den versöhnlichen Ansatz der Partnerschaften hinzuweisen. „Eigentlich sind wir längst einen Schritt weiter“, unterstrich der stellvertretende Vorsitzende des AKL, Johannes Rösner. „Unser Zusammenleben hat längt die Stufe der Normalität erreicht.“ Und auch der AKL-Vorsitzende Dirk Metzig hob mehrfach das Motto der Veranstaltung hervor: „Heimatliebe verbindet.“
In diese Richtung zielten auch zwei weitere Schritte, die an diesem Wochenende verkündet wurden: Stadt, Landkreis und Arbeitskreis loben künftig ein Stipendium aus, das mit 1000 Euro dotiert ist. Es wurde nach dem schlesischen Autor und Lyriker Hans Zuchhold benannt. „Wir wollen damit Arbeiten fördern, die sich in Kunst und Kultur mit unserer Heimat beschäftigen“, erklärte Rösner, der auf die Germanische Fakultät hinwies, die es seit Kurzem an der Universität Wroclaw (Breslau) gebe.
Die zweite Geste wurde bei der Kranzniederlegung am Mahnmal auf dem Landeshuter Platz bekannt, wo deutsche und polnische Gäste Kränze niederlegten. An der dortigen Stele der Erinnerung steht seit Kurzem ein neuer Name: Der vor sechs Jahren verstorbene Pfarrer Wolfgang Gottstein wurde dort verewigt, weil er Jahrzehnte lang viel für die Aussöhnung getan hatte. Auch Kamienna Gora würdigte sein Tun bereits und ernannte ihn 1999 zum Ehrenbürger.
Dass solcher Zusammenhalt und die gemeinsame Sicherheit in turbulenten Zeiten wie heute keine Selbstläufer sind, darauf verwies Wolfenbüttels Bürgermeister Ivica Lukanic in seiner Ansprache am Sonntag. „Europa erlebt gerade eine Prüfung, gerade an der polnischen Ostgrenze“, sagte er. Vor diesem Hintergrund sei es ungemein wichtig, Zusammenarbeit und Austausch zu intensivieren und zu stärken. „Europa ist unser gemeinsamer Schutzraum für Freiheit und Vielfalt“, betonte er. Es dürfe keinen Rückfall in nationale Schablonen geben. Und an die Landeshuter gerichtet, sagte er: „Eine Heimat in der Ferne ist für mich kein Widerspruch, sondern die Erfahrung einer Generation.“
Stadtdirektor Pawlak verlas eine Grußbotschaft des erkrankten Bürgermeisters. Er lobte, bereits in den vergangenen Jahren habe er keine Verbitterung unter den alten Schlesiern festgestellt, sondern ausschließlich Liebe zu ihrer Heimat. „Erinnerung und Sehnsucht nach der Heimat aber sind nichts Verwerfliches.“ Gleichwohl gelte es auch in Zukunft, weiter an belastbaren Brücken zwischen den Menschen zu bauen. „So wie es uns bislang schon sehr gut gelingt.“
Wolfenbüttels stellvertretender Landrat Uwe Schäfer erinnerte daran, was für Dimensionen die Flüchtlingswelle nach dem zweiten Weltkrieg hatte: „In der Stadt Wolfenbüttel lag ihr Anteil an der Bevölkerung bei rund 30 Prozent, im Landkreis waren es sogar knapp 44,5 Prozent.“ Auch Schäfer war der Hinweis auf das gemeinsame Europa wichtig: „Der Einsatz der Heimatvertriebenen für Frieden, Freiheit und Versöhnung ist und war das Fundament unseres geeinten Europas – und ist zugleich ein moralischer Kompass für unsere Gegenwart.“
Fast 50 Besucherinnen und Besucher hörten die Ansprachen in der Kommisse und ließen sich den schlesischen Kuchen schmecken. Abschließend wurde „Riesengebirglers Heimatlied“ gesungen, in dem es um Rübezahl und seine Zwerge geht, um Sagen und Märchen und um die Heimat. Dirk Metzig brachte die gemeinsame Stimmung auf einen anrührenden Punkt: „Deutsche oder Polen: Menschen, die das Riesengebirge lieben, können keine schlechten Menschen sein.“ Bilder: Stadt Wolfenbüttel
Wolfenbüttels stellvertretender Landrat Uwe Schäfer (links) und der Wolfenbütteler Bürgermeister Ivica Lukanic (rechts)
Titelfoto: Gedenkminute an den vier Kränzen (von links): Stadtdirektor Kamienna Gora, Mariusz Pawlak, stellvertretende Landrätin Landkreis Kamienna Gora Malgorzata Krzyszkowska, Uwe Schäfer, Ivica Lukanic und Johannes Rösner (2. Vors. AK).
Eine Tanzgruppe aus Braunschweig zeigte ihr Können in schlesischen Trachten



