Ein Beitrag von: Manuela Baxmann| am 05. November 2024
Wölfe überfallen Schafherde im Kreis Helmstedt/Wolfenbüttel. Mindestens 32 Schafe sind tot. Die Frau des Schäfers berichtet.
Petra Bokelmann schiebt das Scheunentor auf. „Es ist wie in einem Horrorfilm“, sagt sie. Hier liegen die Kadaver und Überreste von rund 20 Schafen: Bei einem hängt der Pansen heraus, von einem anderen ist nicht mehr als das Gerippe übrig. Den Gestank der toten Tiere bekommt sie seit Tagen nicht mehr aus der Nase. Mutmaßlich zwölf Wölfe haben die Herde der Wanderschäferei Bokelmann vergangene Woche zwischen Schandelah/Wohld (LK Wolfenbüttel) und Scheppau (LK Helmstedt) überfallen.
In der Nacht von Montag (28.10.) auf Dienstag (29.10.) hat das Rudel mindestens 32 Schafe getötet oder so schwer verletzt, dass sie eingeschläfert werden mussten. Darunter viele tragende Tiere. 29 weitere sind verletzt. Eingezäunt waren die rund 300 Schafe mit einem mobilen Zaun gemäß Richtlinie Wolf.
Wolfsangriff: Schafe flüchten kilometerweit
In ihrer Panik haben die Schafe den Zaun niedergerissen und sind in alle Himmelsrichtungen geflüchtet. „Sie haben sich im Wald, in Gebüschen oder im hohen Gras versteckt. Manche standen direkt am Fahrbandrand der A39“, berichtet Petra Bokelmann. „Wir haben tote Tiere oder ihre Körperteile bis zu zehn Kilometer weit entfernt vom Rissort gefunden.“ Ihr Mann, Christof Bokelmann, sucht noch immer nach 28 vermissten Schafen. Unterstützt wird der Schäfer dabei vor allem von Jägern und Landwirten aus der Region sowie von Drohnenpiloten.
Petra Bokelmann zeigt auf ein Schaf, dessen Kehle durchgebissen ist: „Das war mein Lieblingsschaf“, verrät sie. „Das haben wir zwei Tage später in einem Dornengebüsch gefunden – schwerverletzt. Wir konnten es nur noch einschläfern.“ Tränen stehen ihr in den Augen. Zehn andere tote Schafe haben sie im Unterholz entdeckt. „Mehrere Wölfe müssen sie hier rein getrieben haben“, vermutet sie. „Als sie nicht mehr flüchten konnten, haben die Wölfe sie bei lebendigem Leib angefressen.“
Landwirte und Jäger aus der Umgebung haben die Herde nach dem Angriff rund um die Uhr bewacht. „Allein in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ist das Rudel vier Mal zur Schafherde zurückkehrt und ließ sich nur widerwillig von den Menschen vertreiben“, berichtet Petra Bokelmann. Donnerstagfrüh (31.10.) hat das Ehepaar seine Schafe in den Landkreis Hildesheim transportiert. „Hier ist der Wolfsdruck noch nicht so groß“, erklärt Petra Bokelmann. Die anderen Tierhalter in der Region rund um Scheppau machen sich derweil große Sorgen – gerade jetzt, wo die Schafe weg sind: Wo wird das Rudel als nächstes zuschlagen?
Wölfe schlagen auch bei Schafhalter in Lauingen zu
Schon in der darauffolgenden Nacht zu Freitag kam es zu dem nächsten Übergriff: Dieses Mal bei einem Schafhalter in der Nähe von Lauingen. Hier töteten Wölfe 18 Schafe auf dem Gelände einer Photovoltaikanlage. „Die Fläche ist von einem etwa 1,80 m hohen Festzaun umgeben, der mit Stacheldraht nach oben abschließt“, weiß Petra Bokelmann. Doch er reiche nicht überall bis zum Boden, damit Kleinwild die Möglichkeit habe, hindurchzuschlüpfen. Sie vermutet, dass sich auch die Wölfe durch die Schlupfe gezwängt haben.
Pferdehalter haben Angst vor Wolfsangriffen
Zusätzlich habe der Schäfer seine Tiere über Nacht noch mit einem Stromzaun gesichert. Doch auch der konnte die Wölfe nicht aufhalten. „Es müssen mindestens fünf gewesen sein“, sagt Wolfsberater Andres Hofmann gegenüber der Braunschweiger Zeitung. Die Fährten würden das verraten. Er sei besorgt, denn wenn Wölfe Großrudel bildeten, deute das darauf hin, dass sie bald größere Tiere jagen. Daher haben auch die Pferdehalter der Region Angst. „Kerstin Köchy aus Destedt betreibt hier beispielsweise einen Bewegungsstall mit rund 40 Pensionspferden“, erzählt Petra Bokelmann. Sie habe bereits eine Spezialfirma beauftragt, die die Pferde nachts per Video bewache.
Drei Wolfsrisse in vier Wochen: Muss die Schäferei aufgeben?
Für Bokelmanns war es bereits der dritte Riss innerhalb von vier Wochen. Einen Tag vor dem jüngsten Überfall hatte sich das Ehepaar Bokelmann über Herdenschutzhunde informiert und sich mit einem Züchter getroffen. Doch Petra Bokelmann ist skeptisch: „Für unsere Herde bräuchten wir mindestens zehn Hunde.“ Zudem seien das furchtbare Kämpfe, wenn Hunde und Wölfe aufeinandertreffen. Für das Ehepaar ist klar: Sollte es noch einen Wolfübergriff auf ihre Schafe geben, werden sie ihre Wanderschäferei aufgeben.
Quelle: LAND & FORST