Witzlicht: Wir sind mit dem Radl da

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Eine Kolumne von Hans Witzkewitz:

Kein Matsch, der nach dem Regen das Fahrrad verschmutzt, mit sauberen Klamotten ans Ziel gelangen – befestigte Radwege sind schon eine feine Sache. Klar gibt es die, aber sie sind selten dort, wo man sie wirklich braucht.

Jemand, der in Weddel aufgewachsen ist, kennt seit frühester Jugend die kürzesten und gängigsten Verbindungen und macht sich keinerlei Gedanken darüber, ob diese nun befestigt, ausgeschildert oder als solche vorgesehen sind – die Wege sind da, waren das wahrscheinlich schon seit Ewigkeiten und werden benutzt – basta.

Ein Neuweddeler wie ich, der von Weddel mit dem Rad nach Braunschweig zur Stadthalle fahren möchte, könnte nun auf die Idee kommen, den Weddeler Berg hochzuradeln und dann der Helmstedter Straße zu folgen, weil er vom Auto aus dort bereits Radwege erspäht hat. So tat ich denn, am Anfang war der Berg, egal ob auf dem Hin- oder Rückweg.

Wen nach einem besseren Weg fragen? Noch kannte ich niemanden außer dem einsilbigen Herrn Wortkarg, den ich letzte Woche beim Zahnarzt kennengelernt hatte. Blöde Angewohnheit von mir, Menschen nach Eigenschaften zu benennen, die vielleicht nur mir auffielen.

Egal, Herr Wortkarg hatte sein Rad vor der Praxis angeschlossen, betrat vor mir das Wartezimmer und wurde von der freundlichen Sprechstundenhilfe gefragt, ob er einen Termin habe.

„Ja.“ Er öffnete beim Antworten den Kinnriemen seines Fahrradhelms.

„Wann denn bitte?“ Die junge Frau schaute erwartungsvoll und klemmt mit der linken Hand ihr halblanges Haar hinters Ohr, vielleicht, um keines der raren Worte zu verpassen.

„Jetzt.“ Seinem Gesicht war keinerlei Gefühlsregung zu entnehmen, schweigend klemmte er seine Versichertenkarte ins Brieftaschenfach und setzte sich ins Wartezimmer.

Ich traf diesen Meister der Einwortkommunikation beinahe täglich, wenn er auf seinem Rad an mir vorbeifuhr, den Mops an der Leine neben sich herführend. Egal, ob ich ihm „Guten Morgen“, „Guten Tag“ oder „Guten Abend“ wünschte, stets nickte er mir freundlich zu und ließ ein „Moin!“ fallen.

Er schien sich mit den hiesigen Radwegen auszukennen und ich kannte inzwischen den Lieblingsbaum seines Hundes, an dem Herr Wortkarg anhalten musste, weil dort das Tier sein Geschäft verrichtete.

Genau diesen Moment passte ich ab, kreuzte mit meinem Rad auf und erkundigte mich nach der üblichen Begrüßungszeremonie nach einer alternativen Möglichkeit zur Helmstedter Straße, um mit dem Rad zur Stadthalle zu gelangen.

„Stadtweg“ war die Antwort und den fand ich zuhause im Stadtplan. Zum nächsten Spätdienst probierte ich die neue Strecke durch das Naturschutzgebiet Riddagshausen und war begeistert. Eine Woche später auf dem Weg zum Frühdienst wunderte ich mich, dass ein Stück Weg zwischen den Teichen eine Art Schlafzimmer für Schwanen- und Entenfamilien und deshalb sicherlich für Radfahrer ungeeignet war.

Noch etwas fiel mir auf: Die Frau mit dem dunkelgrünen Hollandrad und dem knallbunten Fahrradhelm, die in Weddel noch hinter mir gefahren war, fuhr plötzlich vor mir ohne mich überholt zu haben. An der nächsten Ampel standen wir nebeneinander, ich erkundigte mich und sie erklärte mir einen besseren Weg, den ich ohne ihre Hilfe niemals gefunden hätte.

Nun endlich kommt der aktuelle Bezug: Die Gemeinde Cremlingen plant den Ausbau des Radwegnetzes. Ein lobenswertes Vorhaben, auch scheint sich nach ungefähr fünfzig Jahren herumgesprochen zu haben, dass die häufige Benutzung eines „Vorderradfahrradhalters“ dem Vorderrad eine sogenannte „Acht“ beschert, deshalb sollen diese „Fahrradständer“ durch Bügelhalter ersetzt werden, ebenfalls lobenswert. Auf der letzten Ortsratssitzung wurden die in und um Weddel auszubauenden Strecken von der Klimaschutzmanagerin der Gemeinde Cremlingen vorgestellt. Allerdings bestand unser Ortsbürgermeister auf einige Änderungen, weil laut Planung Wege ausgebaut werden sollten, die von den Weddelern so gut wie nie genutzt werden, während häufig befahrene Strecken (noch) nicht für den Ausbau vorgesehen waren.

Wie passiert so etwas? Ein Planungsausschuss (man beachte den Doppelsinn des Wortes) setzt sich zusammen und probiert mit allen zur Verfügung stehenden Informationen am Schreibtisch eine theoretische Streckenführung aus. Endlose Diskussionen, Änderungen, kleine Rangeleien und endlich ist es soweit: Der Planungsausschuss schwingt sich in den Sattel und fährt die vorgesehenen Strecken ab. Kleiner Schönheitsfehler: Die Eingeborenen werden nicht einbezogen, die von klein auf mit dem Rad unterwegs waren, jede Abkürzung und sämtliche Schleichwege kennen und zumindest auf unsinnige Vorschläge hätten hinweisen können.

So ähnlich haben zu Kolonialzeiten die Engländer und Franzosen die Landesgrenzen in Afrika festgelegt: Die Gebiete in Küstennähe waren erforscht, im Inneren des Kontinents aber kannte man nur einige markante Orte. Also legte man am Reißbrett das Lineal an und zog schnurgerade Grenzlinien, ohne Rücksicht auf eventuell vorhandene natürliche Begrenzungen und selbstverständlich wurden auch Ethnien auseinandergerissen.

Aber wir Menschen entwickeln uns ja und müssen heutzutage die alten Fehler nicht mehr mühsam am Reißbrett begehen, sondern können sie bequem und viel besser vom Computer erledigen lassen.

Weiter so

wünscht sich Witz Witzkewitz!

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